Psychische Erkrankungen stehen an dritter Stelle in der Liste der Gründe für Arbeitsunfähigkeit. Davon wiederum entfallen über 30 Prozent auf verschiedenste Arten depressiver Zustände.
Existenzängste, Arbeitslosigkeit, Einsamkeit tragen ihren Teil zur Entstehung dieser Erkrankungen bei. Auf der anderen Seite kommt Überforderung bis zum berüchtigten Burn-Out als Ursach in Frage. Symptome sind tiefe emotionale wie körperliche Erschöpfung, Reizbarkeit und die Unfähigkeit, strukturiert und effizient weiter zu „funktionieren“.
Mit der wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Erkrankungsbilder hat sich auch das Hilfsangebot für die Betroffenen entscheidend verbessert. Dennoch ist die Dunkelziffer sehr hoch. Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder vor der Anerkennung von Kollegen und Familie sind dabei nur ein Faktor. Auf der anderen Seite stehen oft immense Wartezeiten auf einen Termin im Wege. Doch wer wegen Burn-Out oder Depression zutiefst verzweifelt ist, hat nicht unbegrenzt Zeit, bis Hilfe verfügbar wird.
Wie der Erkrankte schnell und effektiv die bestmögliche Hilfe bekommen kann, erklärt uns Dr. Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen. Die Klinik ist spezialisiert auf die Diagnose und Behandlung von Angst- und Panikstörungen, chronische Schmerzen, Burn-Out und Depressionen.
Wenn es „brennt“, wenn der Alltag kaum oder gar nicht mehr zu bewältigen ist – dann ist vor allem schnelle und effektive Hilfe gefragt. Die Suche nach einem guten Zahnarzt oder Orthopäden erscheint vergleichsweise einfach zu sein: Diverse Ärzteverzeichnisse mit Bewertungen oder auch die Empfehlungen von Freunden und Nachbarn führen Betroffene zur richtigen Adresse. Bei der Auswahl des Psychotherapeuten ist es etwas schwieriger. Denn hier spielen verschiedene Faktoren mit.
Nicht alle Menschen fühlen sich in der Lage, offen in ihrem Umfeld nach einer Empfehlung zu fragen. Dazu kommen zahlreiche Berufsbezeichnungen in den einschlägigen Nachschlage-Möglichkeiten. Diese reichen vom Telefonbuch bis zum Ärzte- oder Therapeutenverzeichnis im Internet. Doch die Namen auf den Listen allein vermitteln dem Laien noch kein klares Bild von dem, was ihn erwartet.
Welche Art von Therapie eignet sich überhaupt? Was ist unter einer Verhaltenstherapie zu verstehen, wie funktioniert „Tiefenpsychologie“, wie verläuft eine klassische Psychoanalyse? Patienten fragen sich zu Recht: In welche Richtung wird es gehen? Was geschieht da mit mir und werde ich mich in absehbarer Zeit wieder stabil, erholt und gut fühlen? Welche Vorgehensweise wird mir am besten helfen?
In einigen Situationen ist die Lösung offensichtlich: Eine Phobie lässt sich beispielsweise sehr gut mit einer Verhaltenstherapie in den Griff bekommen.
Doch nicht immer ist die Entscheidung einfach.
Mittlerweile integriert jede Fachrichtung der Psychologie die für sie brauchbaren Elemente in die eigene Vorgehensweise. Die Grenzen verwischen, was für die Patienten kein Nachteil sein muss. So leiht sich die tiefenpsychologische Therapie bestimmte Interventionen bei der Verhaltenstherapie aus und umgekehrt. Diese Entwicklung hat im Grunde nur Vorteile für die Betroffenen.
Zwei Dinge sind am Ende entscheidend und wirklich wichtig.
Die Aussicht auf Wartezeiten von bis zu vier Monaten bis zu einem ersten Termin ist für viele Erkrankte kaum tragbar. In diesen Fällen empfiehlt sich die „Akutsprechstunde beim Psychotherapeuten“, die vor einigen Jahren eingeführt wurde.
Dr. Hagemann streicht die Vorteile heraus: Diese Methode ist Nothilfe in der Krise. Wer unter Depression oder Burn-Out leidet, wird hier erstmal „aufgefangen“. Dabei werden zwar insgesamt zehn Prozent der vorhandenen Therapie-Kapazitäten gebunden. Aber diese Vorgehensweise sorgt dafür, dass niemand mit hohem Leidensdruck über Monate sich selbst überlassen bleibt. Der Nachteil: Patienten können bei dieser einen ersten Sitzung kein Vertrauen zum Therapeuten aufbauen. Wahrscheinlich landen sie nach einer Wartezeit bei jemand ganz anderem.
Hier kommt die zweite wichtige Frage ins Spiel: Weniger die Therapie-Methodik ist entscheidend für den Erfolg, sondern eher die zwischenmenschliche Seite, der Sympathie- und Verständnisfaktor. Dr. Hagemann betont: Wenn zwei Menschen partout in ihrer Wesensart nicht harmonieren und der Patient sich nicht gut aufgehoben fühlt, ist es sinnlos, eine Therapie zu planen.
Wer also einen Therapeuten gefunden hat, sollte in den ersten Sitzungen auf folgende Details achten:
Was tun, wenn sich Patienten in der zunächst gewählten Praxis gar nicht wohl fühlen? Möglicherweise ist bei einem Wechsel erneut eine längere Wartezeit in Kauf zu nehmen. Dr. Hagemann erklärt, dass die ersten fünf Sitzungen jeweils als „probatorische Sitzungen“ bezeichnet werden. Finden beide Beteiligten in dieser Zeit zueinander, ist alles gut – Folgetermine können gebucht werden. Andernfalls ist es ratsam, eine zweite Meinung einzuholen.
Die Krankenkassen bieten Vorgespräche und Online-Listen von zugelassenen Therapeuten an. Die Kassenärztlichen Vereinigungen helfen mit ihren Terminservicestellen, einen Therapieplatz zu finden. Innerhalb von vier Wochen spätestens sollte es möglich sein, einen ersten Termin zu buchen.
Wer sich bei mehreren Therapeuten jeweils auf die Warteliste setzen lässt, erhöht die Chancen, schnell Hilfe und Unterstützung zu bekommen, rät Dr. Hagemann.
Und was tun, wenn in absehbarer Zeit kein Therapieplatz frei ist, aber der oder die Erkrankte stark belastet ist? Hier empfiehlt sich ein stationärer Aufenthalt in einer Tages-Fachklinik. Diese Experten unterstützen Patienten beispielsweise bei Depressionen, Angstzuständen und Burn-Out:
Angststörungen, Depressionen oder Burn-Out sind keine "Modeerscheinung", sondern ernsthafte Krankheiten mit hohem Leidensdruck für Patienten und Angehörige. Je eher die Betroffenen sich professionelle Unterstützung holen, desto erfolgversprechender und schneller verläuft eine Therapie. Dr. Hagemann betont: Der „Hilferuf“ der Betroffenen ist ein vernünftiger und buchstäblich heilsamer Ansatz, kein Anlass zu Scham oder Vorurteilen.
aktualisiert am 21.04.2020