Tinnitus ist zur Volkskrankheit geworden. Rund eine Million Menschen sind alleine in Deutschland betroffen. Ihr tägliches Leben wird von Phantomgeräuschen begleitet: Rauschen, Pfeifen, Klingeln, Surren oder Brummen ... Die Töne im Ohr variieren von Patient zu Patient und sind mal mehr, mal weniger stark vorhanden.
Nicht verwunderlich, dass diese ständigen unkontrollierbaren Störgeräusche auch emotionale Auswirkungen auf die Betroffenen haben. Studien haben gezeigt, dass Tinnitus häufig mit erhöhtem Stress, Angst, Reizbarkeit und Depressionen einhergeht.
Doch Wissenschaftler der University of Illinois haben noch mehr herausgefunden. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden im Juni 2014 in der Zeitschrift Brain Research veröffentlicht:
Mithilfe einer Magnetresonanztomographie erstellte Gehirn-Scans gaben den Forschern die Möglichkeit zu sehen, welche Teile des Gehirns durch die Stimulation des Tinnitus aktiviert werden.
Die Studienteilnehmer wurden in drei Gruppen unterteilt: In der ersten Gruppe befanden sich Menschen mit leichtem bis mittelschwerem Hörverlust und leichtem Tinnitus; in der zweiten Gruppe Menschen mit leichtem bis mittelschwerem Hörverlust ohne Tinnitus; in der dritten Gruppe, der Kontrollgruppe, Menschen in vergleichbarem Alter wie in den anderen beiden Gruppen aber ohne Hörverlust oder Tinnitus. Jeder Teilnehmer musste sich im Magnetresonanztomographen einem Geräuschtest unterziehen: Er wurde mit 30 angenehmen, 30 unangenehmen und 30 neutralen Geräuschen konfrontiert. Dies konnten z.B. Kinderlachen, das Schreien einer Frau oder das Öffnen einer Wasserflasche sein. Die Teilnehmer mussten eine Taste drücken, um jedes Geräusch als angenehm, unangenehm oder neutral zu kategorisieren.
Die Tinnitus-Patienten und die Normalhörenden reagierten schneller auf die emotionalen Geräusche (positive wie negative) als auf die neutralen. Allerdings war die Reaktionszeit der Tinnitus-Patienten verzögert. Die Gruppe der Menschen mit Hörverlust reagierte hingegen auf jede Geräuschkategorie ähnlich stark.
Die Aktivität in der Amygdala, einer Hirnregion, die mit der Verarbeitung von Gefühlen verbunden ist, war bei den Tinnitus- und Hörverlust-Patienten niedriger als bei Menschen mit normalem Gehör. Überraschenderweise zeigten die Tinnitus-Patienten jedoch in zwei anderen Hirnregionen mehr Aktivität als die Normalhörenden: in der Inselrinde und im Gyrus parahippocampalis, einem Teil des lymbischen Systems.
Eigentlich hatten die Forscher erwartet, dass Menschen mit Tinnitus in der Amygdala ein höheres Maß an Aktivität zeigen. Aber ihr Gehirn passt sich offensichtlich an: um die Amygdala zu entlasten, wird die Aktivität auf andere Teile des Gehirns umgeleitet.
Die Forscher hoffen, mit diesen Erkenntnissen Tinnitus-Patienten in Zukunft besser helfen zu können. Denn auch wenn Tinnitus nicht bedrohlich ist, kann er die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.
aktualisiert am 10.07.2014