Tics sind unwillkürliche Bewegungen, die bei einem Betroffenen von Zeit zu Zeit auftreten. Meist handelt es sich um Zuckungen von Muskeln. Eine spezielle Sonderform ist das Tourette-Syndrom, bei dem es neben den kleinen Tics zur ungewollten Äußerung von Lauten und Wörtern kommt. Oftmals sind es Schimpfwörter, Beleidigungen und Tabuwörter, es können aber auch unwillkürliche Handlungen wie Grimassen oder Aufstampfen vorkommen.
Obwohl die Aktivitäten nicht absichtlich sind, reagiert die Umwelt irritiert bis verärgert. Die soziale Isolation des Betroffenen droht. Die Personen im Umfeld müssen daher unbedingt über die Erkrankung aufgeklärt werden, um verständnisvoll zu reagieren. In schweren Fällen sind Medikamente (Neuroleptika) erforderlich, auch eine Verhaltenstherapie kann sinnvoll sein.
Die Ursachen von Tics sind nicht ganz klar, in den meisten Fällen sind sie organisch bedingt und angeboren (primäre Tic-Störung). Sie können vererbt werden, bei Verwandten von Betroffenen ist das Risiko für eine Tic-Störung höher als in der Allgemeinheit. Für die unwillkürlichen Zuckungen und Handlungen sind Störungen im Gehirn verantwortlich, wahrscheinlich spielen ein veränderter Stoffwechsel und die fehlgeleitete Steuerung der Botenstoffe (Neurotransmitter) eine Rolle. Solche Vorgänge sind im Allgemeinen weniger gehemmt als bei anderen Personen. In einigen Fällen finden sich strukturelle Abweichungen des Gehirns von Betroffenen.
Manchmal sind andere Krankheiten die Ursache von Tics oder von Tourette (sekundäre Tic-Störung). So können Entzündungen oder Tumore im Gehirn zu diesen Auffälligkeiten führen. Vergiftungen (durch Kohlenmonoxid) oder Medikamente (z. B. gegen Epilepsie) können ebenfalls Tics bedingen.
Tics sind sehr häufig, etwa zehn Prozent der Grundschulkinder (vor allem Jungen) haben vorübergehend die unwillkürlichen Muskelzuckungen. In der Regel treten die ersten Tics auch im Kindesalter auf und verschwinden oft schon vor dem Erwachsenenalter. Chronisch werden Tics bei schätzungsweise ungefähr vier Prozent der Bevölkerung. Das Tourette-Syndrom ist mit einer Häufigkeit von etwa 1:2000 in der Bevölkerung selten. Es gibt etwa dreimal so viele männliche wie weibliche Betroffene.
Einfache Tics sind unwillkürliche Zuckungen. Tics können auch komplex sein und sich als ganze Bewegungsabläufe bemerkbar machen. Treten Lautäußerungen hinzu, so ist von einem Tourette-Syndrom die Rede. Tics fangen unvermittelt an und sind rasch vorbei. Manchmal ahnen die Patienten durch ein vorheriges Gefühl, dass gleich ein Tic eintritt.
Die Tics treten in der Regel an verschiedenen Stellen auf. Meist fängt die Tic-Störung mit einfachen mimischen Zuckungen im Gesicht an wie Blinzeln bis hin zum Grimassenziehen. Von dort aus folgen später oft Tics an Armen, Beinen oder Rumpf. Das kurze Zusammenziehen der Muskeln ist vom Betroffenen nicht beabsichtigt. Die Störung hört oft nach Wochen bis zu einem Jahr wieder auf. Bei dieser vorübergehenden Form kommt es nur bei sehr wenigen Betroffenen dazu, dass ungewollte Laute ausgestoßen werden.
Komplexe Tics können Aktivitäten wie Springen, Treten, Drehen, Hinhocken, Sich-Selbst-Schlagen, an den Haaren spielen bis hin zum Gestikulieren sein. Manchmal kommt es sogar zur Selbstverletzung. Die Aktionen sehen von außen manchmal so aus, als ob sie geplant und koordiniert wären. Sie sind aber ebenso unwillkürlich wie geringere Tics.
Ein Tourette-Syndrom ist eine schwere Verlaufsform der Tic-Störung. Die Tourette-Störung ist chronisch. Neben den schnellen ungewollten Bewegungen von Muskeln kommt es zu Lautäußerungen wie Rufen, Wörtern und Räuspern. Diese vokalen Tics entwickeln sich meist wenige Jahre nach den ersten motorischen Tics. Die Äußerungen können sehr laut sein. Sie können beleidigende, obszöne, tabuisierte und aggressive Ausdrücke und Flüche beinhalten.
Das Tourette-Syndrom stößt bei vielen Außenstehenden auf Unverständnis. Unwissende unterstellen den Betroffenen, absichtlich Beleidigungen und Flüche auszustoßen. Dafür können sie nichts für diese Aktivitäten. Andere reagieren irritiert, beleidigt oder aggressiv auf die Tourette-Anfälle. Dies stört die seelische Verfassung des Tourette-Patienten. Betroffene ziehen sich oftmals zurück oder werden von anderen ausgegrenzt. Eine Vereinsamung und Depression ist möglich. Auch im Beruf haben die Betroffenen wegen ihrer Störung weniger Chancen als andere Menschen. Dabei sind die Patienten normal intelligent, leistungsfähig und bedeuten keine Gefahr für andere.
Betroffene mit einer Tic-Störung können ihre unwillkürlichen Aktionen für eine kürzere Zeit unterdrücken. Im Beruf und in der Schule versuchen Betroffene, ihre Tics gering zu halten. Das wird dadurch kompensiert, dass in der Freizeit vermehrt und verstärkt Tics auftreten. Manche Patienten können ihre Tics auch in unauffälligeren Bewegungen verbergen. Bestimmte Einflüsse können Tics fördern oder zurückhalten. Die Bewegungen werden häufiger bei Stress und emotionalen Situationen (auch Freude). Konzentriert sich der Betroffene auf etwas, gehen die Tics zurück. Beim Schlafen treten meist nur geringe Tics auf.
Einige psychische Störungen treten gehäuft in Kombination mit Tic-Störungen oder dem Tourette-Syndrom auf. Am häufigsten handelt es sich um ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, ADS, „Hyperaktivität"). Auch Zwangsstörungen, Depressionen, Ängste, Asperger-Syndrom (leichte Form des Autismus) und Schlafprobleme treten oft zusammen mit einer Tic-Störung auf.
In einigen Bereichen ergeben sich für Betroffene von Tourette aber sogar Vorteile. Weil eine gewisse Hemmung im Gehirn nicht richtig funktioniert, ist die Reaktionsfähigkeit besser als bei anderen Menschen. Auch sind Tourette-Patienten schnell und genau in ihren Bewegungen, schlagfertig und haben ein gutes Gedächtnis.
Bei über längere Zeit wiederkehrenden Tics, allerspätestens nach einem Jahr, oder bei einer Zunahme der Beschwerden sollte ein Psychiater aufgesucht werden. Der Arzt führt ein Gespräch mit dem Betroffenen. Er bringt in Erfahrung, seit wann, wie oft und bei welchen Gelegenheiten die Tics vorkommen und wie sie sich äußern. Auch Vorerkrankungen und zusätzlich bestehende psychische Störungen werden erfragt. Durch Verhaltensbeobachtung können die Tics augenscheinlich werden. Körperliche Untersuchungen aus der Kinderheilkunde oder der Neurologie (Nervenheilkunde) sind häufig erforderlich. So wird unter anderem eine Messung der Hirnströme (EEG, Elektroenzephalographie) vorgenommen.
Zunächst einmal muss festgestellt werden, ob bloß Tics oder auch ein Tourette-Syndrom vorliegen. Bei Tourette muss wenigstens ein lautlicher Tic vorhanden sein und die Störung über ein Jahr oder annähernd täglich auftreten. Eine Erkrankung, die mit Tics verwechselt werden kann, ist die Epilepsie (Krampfanfälle im Gehirn). Muskelerkrankungen können ebenfalls zu unwillkürlicher Muskelkontraktion führen. Hirnorganische Erkrankungen (unter anderem Schlaganfall, Entzündungen) können ebenfalls zu ticartigen Symptomen führen.
Bei den chronischen Störungen dieser Art können nur die Symptome vermindert werden. Eine ursächliche Behandlung mit Heilungsabsicht ist nicht möglich.
Im Vordergrund steht die Akzeptanz des Betroffenen und die Aufklärung der Personen, die im Umfeld leben. Sie sollen lernen, den Patienten mit seiner Störung zu akzeptieren und sie als nicht gewollt zu erkennen. Der tolerante Umgang wird geschult. Selbsthilfegruppen bieten die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen und moralische Unterstützung zu bekommen.
Eine Verhaltenstherapie kann in manchen Fällen sinnvoll sein. Auch andere psychotherapeutische Methoden können angebracht sein. Patienten können Verfahren entwickeln, wie sie die Tics im Vorfeld erkennen können und ihnen entgegensteuern können. Sie können herausfinden, wie die Tics abgebaut werden können (auch im Rückzugsraum) oder durch weniger störende Tics ersetzt werden können. Während einer Konzentration können die Tics eingedämmt werden oder vorübergehend ganz zum Verschwinden gebracht werden. Entspannungsverfahren kommen ebenfalls in Frage beispielsweise eine progressive Muskelentspannung nach Jacobson.
Sollte eine andere Erkrankung die Ursache der Tics darstellen, so wird diese behandelt.
Viele Tic-Patienten haben die Problematik nur im Kindesalter über eine kurze Dauer, sie verschwindet restlos, wenn sie älter werden. Bei anderen Patienten wird die Störung chronisch oder wird zum Tourette-Syndrom. Eine definitive Heilung ist nicht möglich, aber oft bessert sich die Symptomatik mit den Jahren. Mit den richtigen Techniken lassen sich die Tics in Situationen, bei denen sie unerwünscht sind, reduzieren. Die Lebenserwartung von Menschen mit Tic-Störungen ist normal. Die schulische und berufliche Leistungsfähigkeit ist an sich nicht beeinträchtigt. Eine Aufklärung des Umfeldes über die Störung ist erforderlich, so dass der Betroffene ohne Vorbehalte akzeptiert wird.
Letzte Aktualisierung am 27.05.2021.